Christian Wulff: Da fehlt doch was!

Foto: Franz Richter, Verschrägung: Ulli Schauen

Lieber Herr Bundespräsident, danke für Ihre Rede zum Jubiläum der deutschen Einheit am 3. Oktober 2010. Ich freue mich, dass mit der sie für ein Land der kulturellen Vielfalt eintreten. (= multikulti) Doch so manche Kultur haben Sie dabei wohl nicht im Blick.

Sie haben gesagt: „Zuallererst brauchen wir eine klare Haltung: Ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt.“

Das stimmt. Allerdings meinen sie offensichtlich, dass mindestens *ein* Glaube immer dazu gehört. Denn sie fahren fort: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“

Aber die nichtgläubigen Einwanderer und die nichtgläubigen Eingeborenen gehören ebenfalls zu Deutschland. Zu Deutschland und Europa gehören auch die Aufklärung und die Eindämmung des  Einflusses der Kirchen und der Religion. Es ist sehr bedenklich, wenn ein Staatsoberhaupt das zu erwähnen vergisst – weil er so in dem religiösen Diskurs gefangen ist.

So fordern Sie auch einen staatlichen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht. Dieser dient ausschließlich den Interessen der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften.

Sie haben gesagt: „Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben: „Sie sind unser Präsident“ – dann antworte ich aus vollem Herzen: Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident! Und zwar mit der Leidenschaft und Überzeugung, mit der ich der Präsident aller Menschen bin, die hier in Deutschland leben.“

Wenn Sie wirklich eine multikulturelle Zukunft Deutschlands wollen, dann weiten Sie bitte Ihren Blick, Herr Wulff. Bieten Sie auch den frommen Muslimen eine wirkliche Alternative. Die Christen sind keine Alternative. Werden auch Präsident der Atheisten und Agnostiker, der Zweifler und Religionslosen. Die schauen nicht ständig immer in die – weit interpretierbaren – Schriften einer Buchreligion, wenn sie nach der Lösung von gesellschaftlichen Problemen suchen. Diese kulturelle Vielfalt hat Deutschland längst. Arbeiten Sie mit ihr – nicht gegen sie.

Der Redetext auf www.bundespraesident.de

4 Gedanken zu „Christian Wulff: Da fehlt doch was!

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  2. Peter

    Daß Bundespräsident Christian Wulff (CDU) für seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit Lob von Vertretern aller etablierten Parteien erhielt, zeigt, mit was für einem —vom Webmaster gestrichen — wir es zu tun haben und wie verlogen diese politische Klasse ist. Da kommt also der oberste Repräsentant unseres Landes daher und erzählt uns an unserem Nationalfeiertag, daß der Islam auch zu Deutschland gehört. Das ist doch ein Skandal! Die deutsche Einheit degradiert er zur Metapher, die er nutzbar macht, um eine multikulturelle Einheit zu beschwören. Das kann ja wohl nicht wahr sein!

    Weiter: —

    Die Beleidigung habe ich als presserechtlich Verantwortlicher aus Ihrem Kommentar entfernt, und weil sie auch in Ihrem eigenen Blog vorkommt, gibt es den direkten Link hier auch nicht mehr. U.Sch., 4.10.2010 – 2010

    1. UlliSchauen Artikelautor

      Doch, „Peter“, es mag nicht allen gefallen, aber der Islam gehört zu Deutschland, weil die hier lebenden Muslime zu Deutschland gehören! So wie auch das Christentum mit den Christen zu Deutschland gehört.
      Aber sowenig wir wir eine staatstragende Religion Christentum benötigen, brauchen wir es, dass der Staat den Islam staatlich stützt – was Wulff aber z.B. mit dem staatlich organisierten Islamunterricht will.

      1. Max

        Natürlich gehört der Islam zu Deutschland. Wir haben aus Gründen, die jedem bekannt sein dürften, weitaus mehr muslimische Bürger in diesem Land als jüdische. Wenn man sich aber einmal die zugegeben nicht ganz unproblematische Freiheit nimmt, in katholisch, evangelisch, muslimisch, sonstige und bekenntnislos zu unterteilen, wird man feststellen, dass die größte Gruppe in Deutschland mittlerweile die Bekenntnislosen sind. Und dann ist es schon ein wenig verwunderlich, was für ein großer Streit da geführt wird darüber, ob der Islam nun zu Deutschland gehört und welche Wurzeln Deutschland hat. Tatsache ist, dass eine große Gruppe von Menschen in diesem Land – darunter sicher auch viele, die statistisch als Muslime oder Christen geführt werden – mit Religion (und zumal deren organisierter Form) wenig am Hut haben und das Recht auf Religionsfreiheit in erster Linie so verstehen, dass es das Recht auf die Freiheit von Religion ist. Die die freiheitliche Grundordnung in diesem Land sehr schätzen und gerne gegen Anfechtungen von jedweder religiöser und sonstiger Seite verteidigen wollen. Leider tun sich z.B. so manche evangelikale Gruppierung ebenso wie katholische Fundamentalisten oder zweifelsohne auch radikale Muslime nicht gerade darin hervor, Errungenschaften dieses Landes in bezug auf die Freiheitsrechte und die Würde des Menschen angemessen zu achten und zu schützen. Aber es ist eben auch falsch, die große Mehrheit der in diesem Land lebenden Muslime verantwortlich zu machen für die verrückten Taten Einzelner. Meiner Ansicht nach (übrigens als stark säkularisierter, aber durchaus aktiver, wenn auch eher ungläubiger evangelischer Christ) ist es auch absolut unzulässig, ganze Religionen zu diffamieren, weil Einzelne sie missbrauchen. Oder weil man deren Bücher nicht wörtlich nehmen darf – denn dann könnte man nur hoffen, dass die christlich-jüdischen Wurzeln unseres Landes auch nicht wesentlich kräftiger sind als die heutigen muslimischen Einflüsse.
        Abgesehen davon dachte ich wirklich, dass gerade in Deutschland klar sein dürfte, dass man nicht ganze Bevölkerungsgruppen pauschal verurteilen darf.

        Was den Islamunterricht in der Schule angeht, ist meine Meinung: Solange es Religionsunterricht gibt, sollte das grundgesetzlich garantierte Recht auf Religionsfreiheit allen Religionen gleichermaßen offenstehen – unter der Voraussetzung, dass ihre Ausübung im Einklang steht mit der Verfassung unseres Landes (was wahrscheinlich bei vielen Religionen spannende Fragen eröffnet). Deswegen ist es mir dann schon lieber, wenn der Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht steht. (Ich kann allerdings nachvollziehen, wenn Bekenntnislose eine Benachteiligung darin erkennen, dass so viel Geld in Religionsunterricht fließt, das an anderer Stelle im Bildungssystem auch gut aufgehoben wäre.)

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