NRW-Landtag: Folgenlose Rhethorik um Bekenntnisgrundschulen

Schulklasse vor 100 Jahren - Schwarzweißfoto

Die wichtigsten Figuren im Dorf waren der Pfarrer und der Lehrer - der auch die Orgel spielen musste. Sechs Stunden Reliunterricht pro Woche waren Pflicht.

Konfessionell ausgerichtete Schulen sind ein anachronistischer Unsinn, an dem sich seit mindestens 150 Jahren Konflikte entzünden. Die Mehrheit der Eltern hat längst – seit Jahrzehnten – andere Kriterien bei der Schulauswahl als ihre Konfessionszugehörigkeit.

Doch mit Klauen und Zähnen hält die katholische Kirche in NRW mit Zuspruch ihrer politischen Helfer an der zu 100 Prozent vom Staat getragenen und finanzierten „Bekenntnisgrundschule“ fest, die häufig wie der Vorhof der jeweiligen örtlichen Pfarrei agiert. Aber die schiere Existenz der Bekenntnisgrundschulen hat in vielen Städten und Gemeinden NRWs ganz absurde Folgen.

In den über 1000 katholischen Grundschulen NRWs (ein Drittel der Grundschulen) haben Katholiken als Schüler und Lehrkräfte Vorrang. Wenn die Plätze der Eingangsklassen belegt sind, müssen sie Nichtkatholiken abweisen, selbst wenn es Nachbarkinder sind. Das sorgt für soziale Segregation – wenn die benachbarte Gemeinschaftsgrundschule dadurch z.B. einen höheren Anteil an Muslimen hat, gilt die katholische Schule sehr schnell bei den Eltern als die Besssere – und der Trend zur unheilvollen Entmischung verstärkt sich – selbst wenn die Schulleitung der katholischen Grundschule wohlmeinend ist.

Am 11. März war das Thema mal wieder im Landtag NRW: Die Regierungskoalition aus CDU und NRW wollten die Grünen anprangern. Die Grünen-Politikern Sigrid Beer hatte nämlich die negativen Folgen der Bekenntnisgrundschulen angeprangert und gesagt: „Das wollen wir ändern“.

In der Landtagsdebatte aber stellte heraus, das nicht einmal die Grünen die Bekenntnisgrundschulen abschaffen wollen – was in NRW auch schwierig wäre, weil dafür die Verfassung geändert werden müsste (!).

Und wieder einmal wiederholte sich ein Ritual: Alle Fraktionen bekannten sich zur Existenz der Konfessionsgrundschulen, auch die FDP, die vor Jahrzehnten mal für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat eingetreten ist.

Einzelne Problemfälle seien zu lösen, meinten sowohl Sigrid Beer von den Grünen als auch Schulministerin Barbara Sommer. Und „christliche Werte“ waren mal wieder in aller Politiker Mund – so redeten sie die Konfessionsschulen gleich mal wieder ein bisschen besser gegenüber den Gemeinschaftsschulen.

Es ist Wahlkampf in NRW. Rhethorik regiert. Die Misere der Konfessionsschulen wird nicht angepackt.

Link: Protokoll der Landtagsdebatte vom 11. März 2010

6 Gedanken zu „NRW-Landtag: Folgenlose Rhethorik um Bekenntnisgrundschulen

  1. Kurze Beine - Kurze Wege

    Am 19.11.2012 fand eine Art Neuauflage zur Landtagsdebatte vor nunmehr zweieinhalb Jahren statt. Über 2 Stunden diskutierten die schulpolitischen Sprecher/innen in Bonn über Bekenntnisgrundschulen in NRW und ihre Nebenwirkungen. Und obwohl es seit 2 Jahren eine rot-grüne Regierung mit einer grünen Schulministerin gibt, hat sich nichts geändert. In der Diskussion wurde die Existenz „problematischer Einzelfälle“ von allen Parteien gesehen, und es wird versprochen, dass man sich einvernehmlich und im Gespräch mit den Kirchen darum kümmern werde. Einzig der Vertreter der neu im Parlament vertretenen Piratenpartei, Hans-Immanuel Herbers, fordert offen die Abschaffung der öffentlichen Bekenntnisschulen. Eine Aufnahme der Veranstaltung kann auf der Webseite der Initiative unter http://www.kurzebeinekurzewege.de/staat-kirche-religion-wie-passen-bekenntnisgrundschulen-in-unsere-gesellschaft-podiumsdiskussion-in-bonn-am-19-11-2012/ abgerufen werden.

  2. Kurze Beine - Kurze Wege

    Interessante Diskussion hier. Die Bonner Initiative „Kurze Beine – Kurze Wege“ befasst sich ebenfalls intensiv mit dem Thema Bekenntnisschulen. Die meisten Mitglieder sind zwar keine Kirchenhasser, trotzdem tritt die Initiative für eine klare Trennung von Kirche und Staat im Bildungsbereich ein (s.z.B Artikel auf Zeit online: http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2011-02/staatliche-bekenntnisschulen ). Auf der Webseite http://www.kurzebeinekurzewege.de versuchen wir, solche Informationen zu sammeln und sind daher froh, wenn wir uns mit ähnlichen Initiativen im Land vernetzen und austauschen können. Zur Kontaktaufnahme bitte e-Mail an kontakt@kurzebeinekurzewege.de.

  3. Ulli Schauen

    Liebe Frau Hinz,

    eine gut geschriebene Geschichte speziell zu NRW habe ich nicht gefunden, nur die schlecht geschriebenen Passagen in meinem Kirchenhasserbrevier ;-)).

    zu 1.
    Nach meiner Auffassung hat es mit der parteipolitischen Konstellation zum Ausgang der 1960er Jahre zu tun. In Bayern hatte die CSU das Sagen. Sie konnte aus Einsicht in Notwendigkeiten (Zwerg-Konfessionsschulen auf dem Lande) schließlich die katholische Kirche dazu bewegen nachzugeben und auf die staatlichen Konfessionsschulen weitestgehend zu verzichten.
    Ähnlich in Rheinland-Pfalz unter dem ab 1969 bis 1976 regierenden CDU-Ministerpräsidenten Helmut Kohl, der explizit zum Amtsantritt die staatlichen Bekenntnisschulen als überholt bezeichnet hat und folgerichtig auch abschaffte.
    In NRW hingegen regierte in den entscheidenden Jahren ab Ende 1966 eine SPD/FDP-Koalition. Von den Sozis aber lässt sich die katholische Kirche die Bekenntnisschule nicht abschwatzen -. da macht sie lieber in „Kirchenkampf“. Nur die CDU war in diesen Jahrzehnten fähig, katholische Erbhöfe anzutasten. Die „dusselige CDU in NRW“ (so die jüngst gestorbene CDU-Katholikin Hanna-Renata Laurien im Interview mit mir) hat in den Jahren als NRW-Oppositionspartei aber ebenfalls an den staatlichen Bekenntnisschulen festgehalten. Johannes Rau hat als SPD-Fraktionsvorsitzender in Düsseldorf noch gesagt, an das Thema müsse die Regierung ran. Davon war nicht mehr die Rede, als er selbst NRW-Ministerpräsident wurde.

    Zu Niedersachsen kann ich nur spekulieren. Es regierte in den 60er Jahren in dem protestantisch geprägten Bundesland dauerhaft die SPD. Und die dürfte die hauptsächlich von der katholischen Kirche geliebten staatlichen Bekenntnisgrundschulen als eine Art von Minderheitenschutz und Teil eines Burgfriedens gesehen haben – nichts, wogegen man vorgehen müsste, weil der politische Flurschaden eines niedersächsischen „Kirchenkampfes“ immer größer gewesen wäre als der gewünschte Effekt.

    2.
    Interessanter Aspekt. Dass Caritas und Diakonie viel Nachmittagsbetreuung in Gemeinschaftsschulen machen, wusste ich bisher nicht. Das würde ich mir gerne mal in der Praxis anschauen. Aber: Primär sind Caritas und Diakonie Sozialunternehmen, die an ihre eigene Expansion denken. Mission ist zwar auch Zweck, schlägt aber nicht immer in der Praxis durch.

    3.
    Von der Praxis des „Schulpastoral“-Programms im Erzbistum Köln weiß ich nichts. Vielleicht klären Sie uns auf?

    MfG
    Ulli Schauen

    1. Ricarda Hinz

      Lieber Ulli Schauen, erstmal vielen Danke für die schnelle Antwort!

      Die ich leider erst heute (!) wahrgenommen habe!
      (durch einen Anruf vorhin vom Initiator der „kurze Beine, kurze Wege“ Bewegung. Hatte darauf vertraut von meinem Computer über eine Antwort informiert zu werden, tja.)

      Inzwischen ist hier in Düsseldorf der http://www.aufklärungsdienst.de in Schwung gekommen und ist nach der ersten Veranstaltung mit Carsten Ferk nun mit der zweiten mit Ralf König auch von der Presse wohlwollend registriert worden:
      http://www.wz-newsline.de/lokales/duesseldorf/der-etwas-andere-gottesdienst-ralf-koenig-liest-im-zakk-1.572595

      Vielen Dank für die anschauliche parteipolitisch-historische Darstellung! Dann sind wir also auf den Aufklärungsgrad konservativer Politiker mit Draht zu den Klerikern angewiesen.
      Muss ich jetzt CDU wählen, damit die Trennung von Religion und Staat vorankommt?

      Die Idee des „Aufklärungsdienst“ ist ja, mal in der eigenen Stadt zu forschen, wie viel Religion hier, wie genau privilegiert wird, in ihrem Zugriff auf die Menschen. Bei inzwischen 46% Konfessionsfreien Düsseldorfern kein Randthema!

      „Schulpastoral“ verstehe ich, als sowas wie das Bildungsministerium des Bistums. Bildung & Mission (falls man das überhaupt trennen kann) Wie viele Menschen dort hauptberuflich tätig sind? Und werden die auch von uns Konfessionsfreien mitbezahlt?

      Eine Frage wirft wieder mal 10 neue auf, ich will hier aber nicht nerven und verbleibe schlicht und einfach mit herzlichen und dankbaren Grüssen!
      Ricarda Hinz

      1. admin Artikelautor

        Wenn Sie den RSS-Feed der kirchenhasser.de-Kommentare und der Artikel abonnieren, sind Sie automatisch auf dem Laufenden. Die Links dazu sind auf der Haupteingangsseite, gaaaanz unten rechts.

        Zum Inhalt der Diskussion vielleicht später mehr. Ist ja ein Dauerthema, wenn auch ein leicht unterdrücktes, weil niemand ein großes Interesse daran hat, das an dauerhaft an die große Glocke zu hängen. Nur die Eltern stoßen jeweils in dem Jahr auf das Thema, in dem eines ihrer Kinder vor der Schulwahlfrage steht.

        Herzlichen Gruß,
        Ulli Schauen

  4. Ricarda Hinz

    Hallo lieber Ulli Schauen,

    ein Düsseldorfer Grüppchen Säkularer (Anteil Konfessionsfreier in Düsseldorf: 45%), das die religionspolitischen Zumutungen lokal zu thematisieren trachtet, plant für Mai eine Veranstaltung in Düsseldorf zum Thema Bekenntnisschule mit dem Titel: „Religion ist kein Unterricht“.

    Dazu habe ich drei Fragen, von denen ich hoffe, dass sie von Dir prompte Beantwortung erfahren:

    1. Gibt es irgendwo eine gut geschriebene Geschichte darüber, warum die Bekenntnisschule ausgerechnet in NRW nicht abgeschafft worden ist, wie in anderen Bundesländern?
    Las neulich einen ausführlichen, historischen Spiegel-Artikel aus den 60ern über den „Kampf“, den die Kirchen in dieser Zeit um die Bekenntnisschule in Niedersachsen führten…

    2. Zur Zeit werden aus Vormittags- Ganztagsschulen. Wer verhindert, dass Gemeinschaftsschulen, deren Nachmittagsbetreuung der Caritas oder der Diakonie anvertraut werden, dadurch eine Re-christianisierung und Re-konfessionalisierung erfahren?

    3. Was ist die schlimmste Auswirkung des „schulpastoral“ Programms des Erzbistum Kölns?

    Vielen Dank im Voraus, für eine Antwort,
    viele Grüsse
    Ricarda

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