Interview

Interview zum Kirchenhasserbrevier:

(Quelle: http://www.randomhouse.de/webarticle/webarticle.jsp?aid=19972&pub=1 )

„Hallo Kirchenleute, bitte runter vom Podest!“

Interview mit Ulli Schauen

Ulli Schauen, Jahrgang 1957, sammelte als Pfarrerssohn früh Erfahrungen mit dem kirchlichen Milieu. Heute ist er Journalist und hatte bei seinen Recherchen immer wieder Gelegenheit, über die Rolle der Kirchen in Deutschland zu staunen. In seinem Buch trägt er Gründe und Argumente für eine fundamentale Kritik an den christlichen Kirchen zusammen.

FRAGE: Sie sind in einer evangelischen Pfarrersfamilie aufgewachsen und bezeichnen sich mittlerweile als „verlorenen Sohn“ der Kirche. Ist es auch dieses Familienleben, das Sie negativ geprägt und zu Ihrer Abkehr von der Kirche geführt hat?
Ulli Schauen: Wenn auch in der Familie und ihrem Umfeld Reden und Handeln auseinander klaffen, dann bin ich als Familienmitglied davon natürlich besonders betroffen. Paradoxerweise ist es aber auch der moralische Rigorismus, den ich im protestantischen Elternhaus verpasst bekommen habe, der mich nun sensibel macht gegenüber den Kirchen, wenn sie viele schöne Worte um schnöde Machtinteressen machen. Wer früher einmal selbst geraucht hat, ist später ganz besonders ungern den Schwaden der Noch-Raucher ausgesetzt. Für die Kirche bin ich verloren, dazu habe ich schon zu viel von ihr gerochen. Ich bin schließlich mit 19 Jahren abrupt ausgestiegen aus einem evangelikalen, „bibeltreuen“ Zusammenhang und sehe mich seitdem als das, was der chrismon-Chefredakteur einen „Thomas-Journalisten“ nennt.

Was ist damit gemeint?
Das ist einer, der für alles und jedes Belege sehen will. Der Apostel Thomas wollte Jesus‘ Wunden befühlen können, bevor er an dessen Auferstehung glaubt. Die Kirche vertritt aber bis heute die biblische Antwort „Seelig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Im gesellschaftlichen Sinne heißt das, beide Kirchen fordern, dass wir ihnen als Institutionen etwas Unbeweisbares, nicht Hinterfragbares abnehmen. Solange das nur Individuen betrifft, ist es okay. Aber wenn es zur Begründung gesellschaftlichen Einflusses dient, ist es nicht mehr okay.

Sie sagen, den Kirchen geht es ständig um ihre Macht. Haben sie das nicht mit allen karitativen gesellschaftlichen Institutionen gemein? Wie sonst sollten sie denn Einfluss nehmen können?
Die Kirchen selbst sind nicht karitative Institutionen, sondern religiöse. Aber zusammen mit Caritas und Diakonie, die zu 99 Prozent vom Staat und den Sozialkassen finanziert sind, bilden sie einen karitativreligiösen Komplex. Die kirchlichen Träger gelten immer noch als Werbeargument für das wohltätige Wirken der Kirchen und werden zu einer Rechristianisierung missbraucht. In den – eigentlich kirchenfernen – neuen Bundesländern sind die kirchlichen Träger in den Jahren nach der Wende fett geworden mit Hilfe von konfessionslosen Beschäftigten; andere waren damals auf dem Arbeitsmarkt nicht zu haben. Dann aber, mit ihrer Macht auf dem Arbeitsmarkt, haben diakonische Einrichtungen die Zügel
angezogen und Kirchenmitgliedschaft rigoros zur Einstellungsvoraussetzung gemacht. Das ist bigotter Machtmissbrauch.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Kirche, Religion und Ethik? Haben die Kirchen Ihrer Meinung nach den Anspruch verloren, sich zu Wort zu melden, wenn es um Fragen des menschlichen Lebens geht, wie in den Diskussionen um Schwangerschaftsabbruch oder Sterbehilfe?
Sie können sich gerne zu Wort melden. Aber man sollte nicht alles ernst nehmen, was sie sagen, wenn nicht mehr vernünftig über Ethik diskutiert wird, sondern ein Dogma durchgesetzt werden soll. Ethische Fragen lassen sich auch ohne Bezugnahme auf Religion behandeln. Die katholische Kirche nimmt lieber eine höhere Zahl von Abtreibungen in Kauf, weil sie Katholiken im Konfliktfall nicht ergebnisoffen beraten will.

In einer modernen, von multikulturellem Zusammenleben geprägten Gesellschaft wird dem Dialog zwischen den Religionen große Bedeutung beigemessen. Sehen Sie hier keine Aufgabe und Herausforderung für die christlichen Kirchen, aktiv für Integration und Toleranz einzutreten?
Ich finde es prima, wenn sie das tun, aber leider überlässt man es ihnen zu sehr. Wir dürfen den überall fälligen interkulturellen Dialog nicht auf einen interreligiösen Dialog einengen. Der sogenannte christlich-islamische Dialog ist kein Allheilmittel für Kulturkonflikte mit Einwandern. Damit werden die Konflikte nur religiös aufgeladen, was vor allem den Kirchen und dem Islam nützt.

Inwiefern?
Wenn man beispielsweise fragt, warum manche Einwanderer gegenüber Töchtern und Frauen gewalttätig sind, sollte man nicht ständig im Koran blättern. Die Gewalttäter – egal welcher Religion – sind oft von einer Herkunftsgesellschaft geprägt, in der Ehe und Familie eine ganz andere Bedeutung zugemessen wird. Darüber müsste gesprochen werden. Doch stattdessen bringt der „christlich-islamische Dialog“ auch den Einwanderer dazu, nach langer Zeit wieder im Koran zu blättern und den Imam nach seiner Meinung zu fragen. Seltsame Sprüche zur Rolle der Frau finden sich aber auch in der Bibel, die geprägt ist von Männern aus längst untergegangenen Hirtengesellschaften.

Sie sagen, die Kirchen seien geldgierig. Aber es ist nicht neu, dass auch Kirchen wirtschaften müssen. Früher wurde der Zehnte eingetrieben, heute gibt es immer noch Kirchensteuer und Kollekte, aber man muss ja nichts geben – und wer gar nicht zahlen will, tritt aus und spendet, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, an die Caritas.
Das einnehmende Wesen der Kirchen geht weit über die Kirchensteuer und freiwillige Spenden hinaus. Wir alle spenden aus Steuermitteln, und zwar mehr als wir wissen und wollen. Der Klerus fordert z.B. in einer wahnwitzigen Argumentation, die sich auf zum Teil zweihundert Jahre alte Rechtstitel stützt, von Bund, Ländern und Gemeinden mindestens 420 Millionen Euro jährlich an Subventionen ein und lässt sich die Ausbildung seiner Theologen zu 100 Prozent finanzieren.

Die Kirchen sehen sich – u.a. – als Hüterinnen eines Moral-Kodex, der das friedliche, auf der christlichen Nächstenliebe basierende Zusammenleben der Menschen gewährleisten soll. Dieser Kodex ist sicher nicht mehr „zeitgemäß“. Aber ist es eine Lösung, wenn statt dessen, leicht verdauliche östliche Heilslehren und indische Gurus das Szepter übernehmen?
Gegenüber allen anderen Gurus bin ich ebenso skeptisch wie gegenüber den christlichen. Es ist ein Fehler, eine ethische Basis für das Zusammenleben nur in Religionen und Spiritualität zu suchen. Ethische Prinzipien sind ein sehr handfestes und praktisches Ergebnis der nun schon Millionen Jahre alten menschlichen Geschichte, die nicht erst mit Moses begonnen hat. In anderen Weltgegenden und vor dem Auftauchen der Religionsstifter Moses, Jesus und Mohammed haben die Menschen einander nicht häufiger die Köpfe eingehauen als im „christlich-jüdischen Abendland“.

Zu den sozialen Aufgaben der Kirchen gehört auch die „Seelsorge“. Versagen die Kirchen auch hier?
Das will ich nicht verallgemeinern, es hängt von den einzelnen Seelsorgern ab, und viele verdienen hohen Respekt. Aber „Seelsorge“ im Sinne von ganzheitlichem Eingehen auf die Gemeindemitglieder ist kein Lehrfach mit hoher Priorität bei der Ausbildung der Theologen. Das lernen sie zum großen Teil „on the job“. Die Gemeinde hat viele Erwartungen an die Geistlichen, das kann den Charakter verderben.

Was halten Sie denn von bürgergesellschaftlichem Engagement aus dem Umfeld der Kirchen? Können wir der gescholtenen Institution hier nicht ein paar Pluspunkte anrechnen, beispielsweise beim Thema Asyl oder dem friedlichen Ende der DDR?
Aber ja! Oft ist der Raum der Kirchen ein wunderbarer lokaler Freiraum für schöne Initiativen. Einen solchen Freiraum hat auch die DDR-Kirche den Staatskritikern geboten – und die kirchlichen Stasi-Spitzel waren mittendrin. Leider macht die evangelische Kirche nach dem Mauerfall dasselbe wie nach dem Fall des Dritten Reichs: Erst gibt sie Schuldbekenntnisse
ab und legt sie zu den Akten. Dann baut sie am eigenen Denkmal ihrer Rolle als Widerstandsbewegung und macht die andere Seite der Story vergessen. Wo Kirchengemeinden sich um Flüchtlinge kümmern, ist das große Klasse, da handeln Menschen aus unmittelbarer Betroffenheit heraus. Und ich freue mich über die gerade laufende kirchliche Kampagne für ein Bleiberecht. Leider kommen immer weniger Flüchtlinge nach Deutschland, weil 1994 das Grundrecht auf Asyl entscheidend eingeschränkt wurde – mit ausdrücklicher Zustimmung der evangelischen und der katholischen Kirchenleitung.

Wenn man den Titel Ihres Buches ernst nimmt, sind Sie selbst ein Kirchenhasser. Zum Hass gehört immer eine große Portion Emotion, und meist lässt sich Hass auf enttäuschte Liebe zurückführen …
Ich selbst hasse die Kirche nicht. Was mir selbst im Elternhaus und danach begegnet ist, habe ich verarbeitet, ab und zu belustigt es mich noch. Der Titel nimmt ironisch den Vorwurf der Kirchenvertreter auf, den sie reflexartig allen entgegen schleudern, die ihre Worte und Taten intensiv und umfassend aufs Korn nehmen. Aber es stimmt: Es sind vor allem die enttäuschten Liebhaber, die schließlich eine intensive Abneigung entwickeln und sich ein Leben lang daran abarbeiten: Frauen, die sich ihr Leben lang mit Theologie und Seelsorge beschäftigen, aber nie katholische Priesterinnen werden dürfen. Ehrenamtliche, die sich mit viel Einsatz und gutem Willen in der Kirche engagiert haben und dann irgendwann kalt gestellt werden. Menschen, die unter den Folgen einer repressiv-sprachlosen christlichen Erziehung leiden. Katholische Kirchenbeschäftigte, die zu absurden und demütigenden Eheannulierungsverfahren gezwungen sind. Die Auseinandersetzung mit den Kirchen ist Teil meiner journalistischen Arbeit – es geht um die Rolle dieser Institutionen auf der Suche nach dem richtigen gesellschaftlichen Weg.

Formulieren Sie in einem knackigen Satz, was Sie von den Kirchen erwarten (würden, wenn die kirchlichen Würdenträger denn wollten ….)?
Hallo Kirchenleute, bitte runter vom Podest. Ihr seid nichts Besonderes. Eure Stimme, eure Rolle ist nur eine unter mehreren.

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